Aktiengeschäfte um den Dividendenstichtag – rechtliche und rechtsstaatliche Grundsätze versus Abwehr von Steuererstattungen durch „Totschlagsargumente“*

Sog. Cum-ex-Transaktionen, also Aktiengeschäfte um den Dividendenstichtag, namentlich in Verbindung mit Leerverkäufen, haben im Zuge der Neuordnung des Kapitalertragsteuersystems durch das OGAW-IV-Umsetzungsgesetz ihre steuerliche Bedeutung zwar mit Wirkung ab 1.1.2012 verloren.

Für die zurückliegenden Veranlagungszeiträume streiten Steuerpflichtige und Finanzverwaltung aber immer noch erbittert über die Berechtigung der entsprechenden Kapitalertragsteueransprüche. Dabei zeigt sich die Tendenz, dass zur Vermeidung von Steuerausfällen die eigentliche Rechtslage, namentlich aber auch rechtsstaatliche Grundsätze, hinten angestellt werden. Bislang hat die Finanzverwaltung entsprechenden Erstattungsansprüchen des Steuerpflichtigen dann den Einwand des Gestaltungsmissbrauchs entgegengehalten, soweit mögliche Absprachen der Beteiligten vermutet wurden. Ein aktueller AdV-Beschluss des FG Kassel geht hierüber noch weit hinaus.

I. Das Kapitalertragsteuerabzugssystem bis 31.12.2011 – Besonderheiten bei Leerverkäufen

Nach dem alten bis zum 31.12.2011 geltenden System des Kapitalertragsteuerabzugsverfahrens hatten deutsche Aktiengesellschaften nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG-a.F. Kapitalertragsteuer i. H. v 25 % der Bruttodividende einzubehalten und diese dann dem Anteilseigner die Nettodividende bei börsengehandelten Aktien regelmäßig über sein depotführendes Kreditinstitut auszuzahlen. Das depotführende Kreditinstitut stellte dem Anteilseigener sodann eine Kapitalertragsteuerbescheinigung nach § 45a Abs. 3 EStG-a.F. aus. Bei betrieblichen Anteilseignern greift nicht das Regime der Abgeltungsteuer, und ist die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer mit dem Steuerabzug nicht abgegolten, § 43 Abs. 5 S. 2 EStG. Stattdessen wird die in der Bescheinigung ausgewiesene Kapitalertragsteuer bei diesen Anteilseignern gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG (ggf. i. V. m. § 31 Abs. 1 KStG) auf die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer angerechnet bzw. erstattet, wofür die Vorlage der nach § 45a Abs. 3 EStG-a.F. erstellten Steuerbescheinigung erforderlich war.[ref]Ausführlich auch Anzinger, RdF 2012, 394; Berger/Matuszewski, BB 2011, 3097; Desens, DStZ 2012, 142; Englisch, FR 2010, 1023; Kußmaul/Huwer/Kloster, RdF 2012, 314; Podewils, AG 2010, 391.[/ref]

Eine Besonderheit bestand jedoch beim Verkauf von Aktien kurz vor dem Dividendenstichtag: Bei der Veräußerung börsennotierter Aktien, die regelmäßig bei Clearstream Banking als Wertpapiersammelbank verwahrt werden, geht das zivilrechtliche Eigentum erst mit der entsprechenden Umbuchung bei Clearstream über, welche diese erst vornimmt, wenn der Veräußerer die Aktien zu liefern hat, nach den Börsenusancen am zweiten Börsentag nach Geschäftsabschuss.[ref]Vgl. § 7 Abs. 1 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse v. 12.10.2009 (Börsenusancen); Einsele in: MünchKomm HGB, 2. Aufl. 2009, Depotgeschäft, Rn. 97 und 108; Kußmaul/Huwer/Kloster, RdF 2012, 314, 315; Podewils, AG 2010, 391, 392; Rau, DStR 2007, 1192, 1193.[/ref]

Das – für steuerliche Zwecke maßgebliche – wirtschaftliche Eigentum geht nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO aber schon dann über, wenn der Erwerber die tatsächliche Sachherrschaft über das Wirtschaftsgut in der Weise ausüben kann, dass er den zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann.

Bei Wertpapiergeschäften kann der Erwerber bereits am Tag des schuldrechtlichen Vertragsabschlusses über die Wertpapiere verfügen und sind insbesondere Gefahr, Nutzungen und Lasten der Wertpapiere, also Kurschancen und -risiken, auf ihn übergegangen.[ref]BFH, Urt. v. 15.12.1999 – I R 29/97BStBl II 2000, 527, 529 f.; bestätigt durch BFH, Urt. V. 30.07.20002 – III B 50/01BFH/NV 2003, 55; BFH, Beschl. v. 27.08.2003 – I B 186/02BFH/NV 2003, 1581; BFH, Beschl. v. 20.11.2007 – I R 85/05IStR 2009, 101; dazu Voss, DStR 2009, 1345, sowie Sorgenfrei, IStR 2009, 102; so auch die Gesetzesbegründung zum JStG 2007 v. 25.09.2006, BT-Drs. 16/2712, S. 47; von Beckerath in: Kirchhof, EStG, 11. Aufl. 2011, § 20 Rn. 54; Schmieszek in: Beermann/Gosch, 36. Lfg., Stand: Mai 2002, § 39 AO Rn. 20.2; Englisch, FR 2010, 1023; Desens, DStZ 2012, 142, 148 ff.; Hahne, DStR 2007, 605, 607; a.A. hingegen Rau, DStR 2007, 1192, 1193; differenzierend Anzinger, RdF 2012, 394, 399 ff.[/ref]

Damit gibt es bei Aktiengeschäften um den Dividendenstichtag hinsichtlich derselben Aktie zwei Eigentümer: nämlich den Veräußerer als zivilrechtlichen und den Erwerber als wirtschaftlichen Eigentümer;[ref]Podewils, AG 2010, 391, m.w.N.[/ref] dies gilt für börslich wie außerbörslich – OTC („off the counter“) – erworbene Aktien gleichermaßen.[ref]FG Hamburg, Urt. v. 24.11.2011 – 6 K 22/10EFG 2012, 351; eingehend Englisch, FR 2010, 1023, 1028 ff.; Desens, DStZ 2012, 142, 148 ff. sowie DStZ 2012, 246, 249 f.; Intemann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EstG, Stand Februar 2010, § 20 Rn. 112; Schlotter in: Littmann/Bitz/Pust, EstG, Stand August 2010, § 20 Rn. 444; ferner auch die Gesetzesbegründung zum JStG 2007 v. 25.09.2006, BT-Drs. 16/2712, S. 48 und BR-Drs. 622/06, S. 79 f.; a.A. Rau, DStR 2011, 510.[/ref]

Bei einem „normalen“ Verkauf erhielt der Veräußerer indes weder die Dividende noch eine Steuerbescheinigung, da hinsichtlich der veräußerten Aktien ein Sperrvermerk in seinem Depot angebracht wird.[ref]Kußmaul/Huwer/Kloster, RdF 2012, 314, 316; Podewils, AG 2010, 391, 393.[/ref] Verkaufte der Veräußerer die Aktien hingegen „leer“, d. h. ohne entsprechenden Bestand in seinem Depot, entfaltete dieser Sperrvermerk keine Wirkung. Vielmehr war derjenige, bei dem der Veräußerer sich die Aktien noch beschaffen muss, am Dividendenstichtag noch Eigentümer dieser Aktien und erhielt dementsprechend sowohl die Nettodividende als auch die Steuerbescheinigung nach § 45a Abs. 3 EstG.[ref]Desens, DStZ 2012, 142, 143; Kußmaul/Huwer/Kloster, RdF 2012, 314, 318; Podewils, AG 2010, 391, 393.[/ref]

Zugleich erhielt jedoch auch der Erwerber einen Betrag in Höhe der Nettodividende gutgeschrieben sowie eine entsprechende Steuerbescheinigung, da er die Aktien „cum Dividende“ erworben hat und ihm daher auch im Falle eines Leerverkaufs durch den Veräußerer die Dividende zusteht. Bei der Gutschrift handelte es sich indes nicht um die von der jeweiligen Aktiengesellschaft ausgeschüttete Dividende, sondern um eine Dividendenausgleichszahlung („manufactured dividend“) dafür, dass der „leer“ verkaufende Veräußerer nicht in der Lage ist, einen eigenen Dividendenanspruch auf den Erwerber zu übertragen. Zu diesem Zweck belastete Clearstream Banking den Betrag der Nettodividende dem Depotkonto des Veräußerers und schrieb diesem dem Depotkonto des Erwerbers gut.

II. Gesetzgeberische Aktivitäten

1. JStG 2007

Um hieraus resultierenden Steuerausfällen entgegenzuwirken, hat der Gesetzgeber zunächst mit dem JStG 2007[ref]BGBl I 2006, 2878; hierzu Seip/Füllbier, BB 2007, 477, 479; Storg, NWB, Fach 3, 14327, 14321 f. = NWB 2007, 169, 173 f.[/ref] reagiert und Dividendenausgleichszahlungen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG der materiellen Steuerpflicht sowie nach Maßgabe der §§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 3, 44 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. der Kapitalertragsteuerpflicht unterworfen. Abzuführen war die Kapitalertragsteuer nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. auf Rechnung des Erwerbers durch das inländische Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut, das für den Veräußerer der Aktien dessen Verkaufsauftrag ausführt. Die von dem Kredit- bzw. Finanzdienstleistungsinstitut abgeführte Kapitalertragsteuer wurde dem Konto des Veräußerers zusammen mit der Dividendenausgleichszahlung belastet.[ref]Siehe BT-Drs. 16/2712, S. 48; Desens, DStZ 2012, 142, 143; Podewils, AG 2010, 391, 394.[/ref]

Die Anwendung von § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. und damit der Einbehalt von Kapitalertragsteuer ging jedoch ins Leere, wenn die betreffenden Geschäfte ohne Intermediär oder über einen ausländischen Intermediär abgewickelt wurden.[ref]Anzinger, RdF 2012, 394, 397; Bruns, DStZ 2011, 676, 677; Desens, DStR 2012, 2473; Kußmaul/Huwer/Kloster, RdF 2012, 314, 320 f.; Podewils, AG 2010, 391, 394 f.[/ref]

2. OGAW-IV-Umsetzungsgesetz

Aus eben diesem Grund hat der Gesetzgeber „nachgebessert“ und mit dem OGAW-IV-Umsetzungsgesetz mit Wirkung ab 01.01.2012 die Abzugsverpflichtung verlagert.[ref]BGBl I 2011, 1126.[/ref] Die ausschüttende Aktiengesellschaft leitet nunmehr die Bruttodividende, sprich ohne Kapitalertragsteuerabzug, an die auszahlenden Stellen weiter; die Abzugsverpflichtung liegt nunmehr bei dem inländischen Institut, das die Kapitalerträge gutschreibt bzw. auszahlt oder – falls die Gutschrift bzw. Auszahlung durch eine ausländische Stelle erfolgt – bei der letzten inländischen Stelle, die die Beträge an die ausländische Stelle weitergeleitet hat. [ref]Zur Neuregelung vgl. Desens, DStZ 2012, 142, 153 f.; Kußmaul/Huwer/Kloster, RdF 2012, 314, 322 ff.[/ref] Steuerausfälle sind mit dem neuen System damit ausgeschlossen.

III. Zwischenlösungsversuche der Finanzverwaltung

Für die Zwischenzeit hatte die Finanzverwaltung angeordnet, dass Kapitalertragsteuer in den genannten Fällen dann nicht anzurechnen sei, wenn zwischen dem Leerverkäufer und dem Erwerber Absprachen bestehen, die einen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen dem Leerverkauf und dem Kauf begründen.[ref]BMF v. 05.05.2009, IV C 1-S 2252/09/10003, BStBl I 2009, 631; ergänzt durch BMF v. 21.09.2010, IV C 1-S 2252/09/10003:004, DStR 2010, 2082; dazu auch Bruns, DStR 2010, 2061; Podewils, AG 2010, 391, 396 f.; ferner auch Mühlhaus, ErbStB 2009, 214.[/ref]

Außerdem verlangte die Finanzverwaltung – rückwirkend ab 01.01.2009 – Angaben in der Steuerbescheinigung zu Kapitalerträgen aus Aktien, die „cum dividende“ erworben, aber „ex dividende“ geliefert wurden, ferner die Bescheinigung im Rahmen der Veranlagung gemeinsam mit der Bescheinigung eines zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung befugten Berufsträgers i.S.v. den §§ 3, 3a SteuerberatungsG oder einer behördlich anerkannten Wirtschaftsprüfungsstelle, in der dieser bestätigt, dass ihm aufgrund des ihm möglichen Einblicks in die Unternehmensverhältnisse und nach Befragung des Steuerpflichtigen keine Erkenntnisse über Absprachen des Steuerpflichtigen im Hinblick auf den über den Dividendenstichtag vollzogenen Erwerb der Aktien sowie entsprechende Leerverkäufe, bei denen die §§ 44 Abs. 1 S. 3 i.V.m. 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG keine Anwendung gefunden hat, vorliegen.[ref]Zu Einzelheiten BMF v. 28.12.2009, IV C 1-S 2252/09/10003, DStR 2010, 52.[/ref]

Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen, namentlich Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes wie auch Rückwirkungsverbot, waren diese BMF-Schreiben allerdings kaum vereinbar[ref]Siehe Podewils, AG 2010, 391, 396 f.; Mühlhaus, ErbStB 2009, 214; eingehend zu den einzelnen Grundsätzen des Rechtsstaatsprinzips und deren Auswirkungen auf das Steuerrecht Lang in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl. 2010, § 4 Rn 150 ff.[/ref] – weswegen die Finanzverwaltung auch schon als „Reparaturgesetzgeber“ tituliert wurde.[ref]So Englisch, Börsen-Zeitung v. 11.02.2012, S. 13.[/ref]

So fehlte es zunächst an einer gesetzlichen Grundlage für die Nachweispflicht durch die Bescheinigung eines zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung befugten Berufsträgers i.S.v. §§ 3, 3a SteuerberatungsG bzw. einer behördlich anerkannten Wirtschaftsprüfungsstelle. Eine solche durchaus gravierende Änderung hätte zwingend einer gesetzlichen Normierung bedurft.[ref]Siehe Mühlhaus, ErbStB 2009, 213, 214.; Podewils, AG 2010, 391, 396 f.[/ref] Die gesetzliche Ermächtigung der Finanzverwaltung nach § 45a Abs. 2 S. 1 EStG-a.F. zur Bestimmung der amtlichen Muster war nicht als Blankettnorm zu qualifizieren, die die Statuierung weiterer Anforderungen für die Kapitalertragsteueranrechnung über die nach § 32d EStG-a.F. erforderlichen Angaben hinaus erlaubt hätte.[ref]Häuselmann, DStR 2009, 1996, 1997.[/ref] Insoweit war auch ein Rückgriff auf § 42 Abs. 2 S. 2 AO nicht möglich, wonach der Steuerpflichtige für das Vorliegen beachtlicher außersteuerlicher Gründe der gewählten Gestaltung nachweispflichtig ist. Mit nämlichen Bescheinigung wurde nämlich nicht der Nachweis außersteuerlicher Gründe erbracht, sondern nur dargetan, ob überhaupt eine missbräuchliche Gestaltung als solche in Betracht kommt. Für das Vorliegen einer missbräuchlichen Gestaltung i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 1 AO ist jedoch nicht der Steuerpflichtige, sondern die Finanzbehörde beweispflichtig.[ref]Drüen in: Tipke/Kruse, AO, 116. Lfg., Stand: Juli 2008, vor § 42 Rn. 27 ff.; Schmieszek in: Beermann/Gosch, 73. Lfg., Stand: Februar 2009, AO § 42 Rn 118 f.[/ref]

Hinzu kam, dass die besagten Anforderungen rückwirkend ab dem 1.1.2009 und damit auch für vor dem Erlass des BMF-Schreibens abgeschlossene Geschäfte und hierfür bereits ausgestellte Steuerbescheinigungen gelten sollten. Diese Rückwirkung in bereits abgeschlossene Sachverhalte dürfte wohl verfassungswidrig gewesen sein.[ref]So auch Mühlhaus, ErbStB 2009, 213, 214; Häuselmann, DStR 2009, 1996, 1997; zur Verfassungswidrigkeit rückwirkender Gesetze siehe Kleinert/Podewils, BB 2008, 1819 ff.[/ref]

IV. AdV-Beschluss des FG Kassel vom 8.10.2012

Vor diesem Hintergrund überrascht ein aktueller AdV-Beschluss des FG Kassel, da dieser hierüber noch weit hinausgeht.[ref]FG Kassel v. 8.10.2012, 4 V 1661/11, DStR 2012, 2381; dazu auch Amann, Der Betrieb – Steuerrechtsprechung kompakt 12/2012, 33; Anzinger, RdF 2012, 394; Blumers/Elicker, BB 2012, 3187; Desens, DStR 2012, 2473; Englisch, RdF 2012, 425.[/ref]

1. Sachverhalt

Ein Finanzunternehmen in der Rechtsform einer GmbH, die spätere Antragstellerin, hatte in den Jahren 2006 bis 2008 dividendenberechtigte Aktien deutscher Aktiengesellschaften kurz vor oder am Tag der jeweiligen Hauptversammlung gekauft mit Dividendenanspruch („cum Dividende“) und kurz nach der Dividendenzahlung wieder verkauft. Mit der Ausführung ihrer Wertpapiergeschäfte hatte die Antragstellerin eine Bank beauftragt. Diese schrieb die anfallenden Dividenden (netto, also abzüglich Kapitalertragsteuer) dem Konto der Antragstellerin gut und bescheinigte ihr per Jahressteuerbescheinigungen für die Streitjahre den Einbehalt der Kapitalertragsteuer auf die Dividendenerträge.

Auf Grundlage dieser Bescheinigungen rechnete das zuständige Finanzamt später Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag an; die festgesetzten Beträge wurden der Antragstellerin erstattet. Alle Steuerbescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Anlässlich einer späteren – bislang noch nicht abgeschlossenen – Außenprüfung bei der Antragstellerin wurde festgestellt, dass die fraglichen Aktiengeschäfte sämtlich außerbörslich (off the counter, OTC) getätigt wurden. Ferner ergab sich, dass es in allen Streitjahren zu Lieferverzögerungen gekommen war, so dass die Aktien zum Teil „T+3“ (d.h. mit einer Verzögerung von drei Tagen), aber auch „T+4“ ins Depot der Antragstellerin eingebucht wurden. Die Außenprüfung erregte beim Finanzamt zudem den Verdacht, dass die Antragstellerin die entsprechenden Aktien „leer“ verkauft hatte, also zum Zeitpunkt des Verkaufs die Aktien noch nicht im Depot hatte, sondern diese vor Erfüllung ihrer Lieferverpflichtung noch erwerben musste.

Deswegen nahm das Finanzamt die Anrechnung der Kapitalertragsteuer gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO zurück und verlangte die Rückzahlung der Anrechnungsbeträge nebst Zinsen. Zwischenzeitlich forderte auch die Bank die ausgestellten Jahressteuerbescheinigungen von der Antragstellerin zurück. Gegen die geänderten Anrechnungsverfügungen legte die Antragstellerin Einspruch ein. Das FG Kassel versagte die Gewährung von AdV, da nach summarischer Prüfung die Aufhebung der Anrechnungsbescheide rechtmäßig gewesen sei. Das Finanzgericht führte zur Begründung aus:

Nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO könne ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden, wenn ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien.

Voraussetzung der Anrechnung sei die Vorlage einer entsprechenden Kapitalertragsteuerbescheinigung nach § 45a Abs. 3 EStG a.F. In Folge des Widerrufs der Steuerbescheinigungen durch die Bank sei der ursprüngliche Anrechnungsbescheid rechtswidrig geworden.

Die Antragstellerin habe den Anrechnungsbescheid dadurch erwirkt, dass ihre Angaben in den Steuererklärungen und die vorgelegten Bescheinigungen zu Unrecht den Eindruck erweckt hätten, dass anrechenbare Kapitalertragsteuer vorliege. Die Antragstellerin treffe insoweit eine Nachweispflicht, dass diese Kapitalertragsteuer zuvor erhoben i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG a.F. worden sei und sie – die Antragstellerin – zum Zeitpunkt der Ausschüttung auch wirtschaftliche Eigentümerin der Aktien gewesen sei. Der Anscheinsbeweis, den hierfür die Steuerbescheinigung grundsätzlich biete, sei durch deren Widerruf entfallen. Der Nachweis könne zwar auch anderweitig geführt werden; dem habe die Antragstellerin aber nicht genügt.

2. Bewertung

Die Entscheidung des FG Kassel ist – aus mehreren Gründen – evident fehlerhaft.

Richtig an der Entscheidung des FG Kassel ist nur der – bereits lange bekannte – Ausgangspunkt bzw. Befund, dass nach dem alten Kapitalertragsteuersystem in den besagten Konstellationen Steuerbescheinigungen doppelt ausgestellt werden konnten. Zutreffend ist ferner noch die Feststellung, dass die im Wege des Kapitalertragsteuerabzugs anfallende Einkommensteuer bereits dann „erhoben“ i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG-a.F. ist, wenn sie vom Schuldner der Kapitalerträge für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge einbehalten wurde.

Dies ist vorliegend aber unstreitig geschehen, nämlich durch die ausschüttende Gesellschaft.[ref]So auch Englisch, RdF 2012, 425, 426; Desens, DStR 2012, 2473, 2475.[/ref] Das FG Kassel konzediert selbst, dass es auf eine Abführung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer an das Finanzamt dabei nicht ankommt. Die Gefahr von Steuerausfällen ist, wie selbst dem Finanzgericht mithin bekannt war, dem alten Kapitalertragsteuersystem immanent gewesen;[ref]Vgl. bereits Podewils, AG 2010, 391, 394 f.; Jachmann/Lindenberg in: Lademann, EStG, Nachtrag 179, Januar 2011, § 20 Rn. 277; Intemann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EstG, Stand Februar 2010, § 20 Rn. 110; eingehend auch Desens, DStR 2012, 2473; Blumers/Elicker, BB 2012, 3187.[/ref] deshalb ja auch die Neuregelung ab 01.01.2012.

Die Entscheidung des FG Kassel ist mit der für den streitgegenständlichen Veranlagungszeitraum geltenden Rechtslage unvereinbar und steht auch in Widerspruch zur einschlägigen BFH-Rechtsprechung: Dieser hat entschieden, dass eine etwaige spätere Rückforderung der Steuerbescheinigung durch die Bank nichts daran ändert, dass diese zuvor ordnungsgemäß vorgelegt wurde.[ref]BFH, Beschl. v. 20.08.2007 – I B 98/07BFH/NV 2007, 2276; BFH, Urt. v. 20.10.2010 – I R 54/09BFH/NV 2011, 641 = GmbHR 2011, 319; zustimmend Gosch, BFH-PR 2008, 14; Englisch, RdF 2012, 425, 426; Desens, DStR 2012, 2473, 2476.[/ref] Alles andere wäre mit dem Gebot von Rechtssicherheit und Verfahrensökonomie unvereinbar. Dies ergibt sich gerade aus der Regelung in § 45a Abs. 3 S. 2 EStG-a.F., wonach Dividende und Dividendenausgleichszahlung ausdrücklich gleich gestellt werden und der Emittent der Aktien insoweit als Schuldner der Kapitalerträge gilt, sprich fingiert wird.[ref]So auch Blumers/Elicker, BB 2012, 3187, 3188 und Desens, DStR 2012, 2473, 2475 f.; zur Funktion der Steuerbescheinigung siehe auch Hartrott in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Stand April 2012, § 45a Rn. 12; Knaupp in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, 11. Aufl. § 45a Rn. 3; Lindberg in: Blümich, EStG, Stand September 2011, § 45a EStG Rn. 7 f.; Ramackers, in: Littmann/Bitz/Pust, EStG, Stand August 2010, § 45a Rn. 18; Weber-Grellet in: Schmidt, EStG, 31. Aufl. 2012, § 45a Rn. 3.[/ref]

Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Kapitalertragsteueranrechnung waren damit erfüllt.

Im Übrigen kann man nach der genannten BFH-Rechtsprechung[ref]BFH, Urt. v. 15.12.1999 – I R 29/97BStBl II 2000, 527, 529 f.; BFH, Beschl. v. 20.11.2007 – I R 85/05BFH/NV 2008, 551 = IStR 2009, 101.[/ref]
den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf die Antragstellerin nicht bestreiten, da dieses bereits mit dem Abschluss des Kaufvertrags auf den Erwerber über. Maßgeblich ist allein, dass Kurschancen und Risiken ab diesem Zeitpunkt auf den Erwerber übergehen. Etwaige Lieferverzögerungen im Einzelfall führen lediglich dazu, dass das zivilrechtliche – nicht das wirtschaftliche – Eigentum später übergeht. Hierfür spricht auch die Feststellung des BFH, wonach eine Umbuchung, die „gegebenenfalls erst zwei Tage“ nach dem Vertragsschluss vorgenommen worden ist, den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht beeinflusst. Hieraus ergibt sich allenfalls, dass die Lieferung zeitnah erfolgen muss, nicht aber unbedingt „T+2“. Auch wenn man bedenkt, dass im internationalen Vergleich eine Lieferung „T+3“ (z.B. in den U.S.A.) oder sogar „T+4“ (z.B. an der London International Financial Futures and Options Exchange) durchaus üblich ist, gibt es keinen Grund, die in Deutschland übliche Lieferung „T+2“ zur Voraussetzung für den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums zu machen.27

3. Arglist oder „Schlamperei“ des Gesetzgebers?

Die steuerrechtliche Beurteilung führt daher dazu, dass im vorliegenden Fall die Erstattungsansprüche des Steuerpflichtigen zu Recht bestanden, eine Rücknahme des Steuerbescheides somit schon aus diesem Grund rechtswidrig war. Die Rücknahme war allerdings nur dadurch konstruierbar, dass das FG Kassel dem Steuerpflichtigen arglistiges Verhalten bei der Erwirkung des Steuerbescheides unterstellt hat.

Dies ist mehr als problematisch. Die Entscheidung nimmt selbst mehrfach Bezug auf ein Rechtsgutachten einer Anwaltskanzlei, das der Steuerpflichtige im Zuge der fraglichen Aktiengeschäfte eingeholt hat. Bekanntermaßen haben etliche auch durchaus renommierte Anwaltskanzleien die cum-ex-Transaktionen begleitet – und man darf getrost davon ausgehen – wohl auch jeweils ein Steuergutachten hierzu verfasst. Ein Steuerpflichtiger handelt kaum arglistig, wenn mehrere Anwaltskanzleien – unter Anderem solche, die die Bundesrepublik Deutschland selbst mandatiert und auch honoriert hat – die steuerliche Unbedenklichkeit der Transaktion bescheinigen. Überdies ist § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO grundsätzlich nur dann anwendbar, wenn der Steuerpflichtige die Angaben selbst gemacht hat.[ref]Siehe Pahlke in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl. 2009, § 130 Rn. 41; Wernsmann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Stand: 3/2008, AO, § 130 Rn. 39.[/ref] Bei der nach § 45a Abs. 3 EStG-a.F. im Original vorzulegenden Steuerbescheinigung handelt es sich aber um Angaben nicht des Steuerpflichtigen, sondern der Depotbank, die hier als Beliehene bzw. Verwaltungshelfer tätig wird.[ref]Siehe Hamacher in: Carlé/Korn/Strahl, EstG, Stand: 10/2006, § 45a Rn. 4.[/ref]Die Möglichkeit von Steuerausfällen durch cum-ex-Geschäfte war dem Gesetzgeber wohl schon seit ca. 2002/2003 bekannt, spätestens aber bei Verabschiedung des JStG 2007. In der Gesetzesbegründung zum JStG 2007 heißt es ausdrücklich, dass mit der damaligen Einfügung der §§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4, 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 3, 44 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. „Steuerausfälle verringert werden sollten“.[ref]Gesetzesbegründung zum JStG 2007, BT-Drs. 16/2712, S. 46 f.[/ref] Der Gesetzgeber wusste also, dass Steuerausfälle nach wie vor nicht ausgeschlossen waren,[ref]Vgl. auch Desens, DStR 2012, 2473, 2476.[/ref] scheute jedoch offensichtlich die Mühsal einer vollständigen Neukonzeption, wie sie dann ab 2012 doch erfolgt ist.

Dass die handwerkliche Fähigkeit der Legislative immer schlechter wird, betrifft nicht nur das Steuerrecht, sondern zieht sich durch alle Rechtsgebiete. Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung ist es aber Aufgabe von Exekutive und Judikative, auch handwerklich misslungene Gesetze zu beachten und auszuführen bzw. anzuwenden. Die Tendenz, fehlerhafte Gesetze zu Lasten des Bürgers durch gewagte rechtliche Konstruktionen zu retten, ist strikt zu missbilligen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang noch, dass ein Richter des FG Kassel offensichtlich seinen eigenen AdV-Beschluss in einer Publikation selbst kommentiert hat, den wegweisenden Charakter dieser Entscheidung betont und betroffenen Steuerpflichtigen zu einer Selbstanzeige nach § 371 AO rät.[ref]Amann, Der Betrieb – Steuerrechtsprechung kompakt 12/2012, 33, insbes. 36.[/ref] Zwar gilt für Fachpublikationen auch von Richtern selbstverständlich die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG. Diese hat jedoch ihre Schranken u. A. in der Pflicht zur Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit, die nach Art. 33 Abs. 5, Art 97 Abs. 1 GG ebenfalls Verfassungsrang hat.[ref]Vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.8.1983 – 2 BvR 1334/82NJW 1983, 2691; Heinrich in: Musielak, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 42 Rn. 17.[/ref]

Vorliegend existiert aber m.E. ein Konflikt mit dem Maßhaltegebot nach § 39 DRiG, wonach sich der Richter sich innerhalb und außerhalb seines Amtes so zu verhalten hat, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird.[ref]Siehe hierzu auch Rudolph, DRiZ 1987, 337; Wassermann, NJW 1995, 1653 ff.[/ref] So ist es sicher unproblematisch, wenn z.B. ein BGH-Richter nach einer Entscheidung diese in einer Publikation nochmals darstellt.[ref]Allerdings machen die Redaktionsrichtlinien mancher Zeitschriften die Veröffentlichung einer Publikation zu einer Entscheidung ganz generell davon abhängig, dass der Autor nicht an dem zugrunde liegenden Verfahren beteiligt war, namentlich auch nicht als Richter oder Rechtsanwalt.[/ref] Ebenso wird eine Befangenheit allein aus dem Grund, dass der Richter zu einem früheren Zeitpunkt vor dem Verfahren bereits einschlägig publiziert, abgelehnt, da von jedem Richter erwartet werden könne, dass er sich in jeder neu von ihm zu entscheidenden Rechtssache für neue Argumente und Erwägungen offen hält.[ref]So BVerfG, Beschl. v. 19.4.2010 – 1 BvR 626/10NJW-RR 2010, 1150 m. w. N.; BGH, Beschl. v. 13.1.2003 – XI ZR 357/01WM 2003, 848; BSG, Beschl. v. 1.3.1993 – 12 RK 45/92NJW 1993, 2261, 2262; Heinrich in: Musielak, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 42 Rn. 17; Gehrlein in: Münchener Kommtar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, § 42 Rn. 21; Zöller-Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 42 Rn. 33.[/ref] Dies gilt allerdings nicht, wenn die Publikation in Bezug bzw. Kenntnis des konkreten Rechtsstreits erfolgt.[ref]Siehe BVerfG, Beschl. v. 16.6.1973 – 2 BvF 1/73 – BVerfGE 35, 253 ff.; BVerfG, Beschl. v. 12.7.1986 − 1 BvR 713/83NJW 1987, 430; BVerfG, Beschl. v. 11.10.2011 − 2 BvR 1010/10, 2 BvR 1219/10NJW 2011, 3637; Gehrlein in: Münchener Kommtar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, § 42 Rn. 21; Zöller-Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 42 Rn. 34.[/ref]

Vorliegend besteht weitergehend die Besonderheit, dass mit dem Beschluss des FG Kassel das AdV-Verfahren zwar abgeschlossen ist, das Hauptsacheverfahren jedoch noch läuft. In diesem Verfahrensstadium wäre eine Kommentierung dementsprechend besser unterblieben. Hinzu kommt, dass sich nach der Rechtsprechung des BVerfG Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters daraus ergeben können, dass die Nähe der Äußerungen zur Rechtsauffassung eines Beteiligten bei einer Gesamtbetrachtung nicht zu übersehen ist und die wissenschaftliche Tätigkeit des Richters vom Standpunkt anderer Beteiligter aus die Unterstützung dieses Beteiligten bezweckt.[ref]So BVerfG, Beschl. v. 26.5.1998 – 1 BvL 11-94 – BVerfGE 98, 134, 138 = NJW 1999, 413; BVerfG, Beschl. v. 17.9.2003 – 1 BvL 3/98NJW 2004, 209; BVerfG, Beschl. v. 19.4.2010 – 1 BvR 626/10NJW-RR 2010, 1150; Heinrich in: Musielak, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 42 Rn. 17. Ob der Richter diese Folge seiner Äußerungen hätte erkennen müssen, insbesondere ob ihm der Vorwurf einer Verletzung seiner richterlichen Dienstpflichten zu machen ist, ist im Übrigen unerheblich; siehe BVerfG, Beschl. v. 19.8.1996 – 2 BvR 115/95NJW 1996, 3333.[/ref] Dies muss umso mehr gelten, wenn die Publikation als solche nicht nur einen nicht rein objektiv-wissenschaftlichen Charakter aufweist, sondern polemisch gehalten ist.Siehe BVerfG, Beschl. v. 19.8.1996 – 2 BvR 115/95NJW 1996, 3333, 3334; Gehrlein in: Münchener Kommtar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, § 42 Rn. 21.[/ref] Schlussendlich muss es doch verwundern, dass das FG Kassel[ref]FG Kassel v. 8.10.2012, 4 V 1661/11, DStR 2012, 2381.[/ref] einerseits die Beschwerde zum BFH nicht zugelassen hat – also offensichtlich eine grundsätzliche Bedeutung verneint -, der mitwirkende Richter aber ausdrücklich die „enorme Bedeutung der Entscheidung für die Praxis“ hervorhebt.[ref]So explizitAmann, Der Betrieb – Steuerrechtsprechung kompakt 12/2012, 33; 34.[/ref]

V. Fazit

Cum-ex-Transaktionen werden Praxis und Wissenschaft trotz der Neuregelung ab 1.1.2012 wohl noch geraume Zeit erhalten bleiben. Der Grund hierfür liegt in der jahrelangen Untätigkeit des Gesetzgebers.

Ganz allgemein, losgelöst vom vorliegenden Fall und vom Steuerrecht allgemein, bleibt daher der Wunsch, Judikative wie Exekutive sich über geltendes Recht nicht hinwegsetzen und andererseits der Gesetzgeber zukünftig sorgfältiger arbeiten möge. Zumindest letzteres ist freilich absehbar nur ein „frommer Wunsch“.

2 Kommentare
  1. Ralf sagte:

    Aber natürlich ist das Steuerbetrug – hier wurden Konstrukte geschaffen, um sich für ein und dieselbe Transaktion – nämlich eine Dividentenausschüttung – mit einem Trick risikolos zwei Kapitalertragssteuerbescheide zu beschaffen. Dies ist natürlich auch nicht für jedermann durchführbar, sondern hochspezialisierten Finanz-Profis bzw. Unternehmen vorbehalten. Jedem Beteiligten war natürlich klar, dass es für ein Geschäft nicht zweimal den gleichen Steuervorteil geben kann. Ich bin daher ausnahmsweise auf der Seite der Finanzbehörden, es kann nicht angehen, dass Ottonormalbürger immer und immer wieder die Zeche der halbseidenen Geschäfte der Finanzhaie zahlt.

    • Dr. Felix Podewils, Notarvertreter in Pforzheim sagte:

      Cum-ex-Geschäfte mögen ggf. moralisch beanstandenswert sein; um Steuerbetrug handelt es sich juristisch betrachtet aber jedenfalls nicht. Das deutsche Recht ist nämlich kein „Gesinnungsstrafrecht“.

      Der Gesetzgeber hat schlicht und einfach „gepennt“. So wie er es regelmäßig im Steuerrecht und auch anderswo tut. Ich verweise auf die aktuellen Beiträge in FAZ, Welt am Sonntag etc., die ebenfalls betonen, dass der Gesetzgeber bereits 2002 über mögliche Steuerausfälle aus cum-ex-Geschäften Bescheid wusste.

      Wenn gesetzliche Fehlanreize nun einmal ausgenutzt werden, sollte das keinen wundern. Wundern darf man sich allerdings, dass es über zehn Jahre gedauert hat, diese Steuerlücke zu schließen.

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