ODR ist nicht ADR mit Skype! Eine Antwort zu: „Online Mediation — Press Delete“ by B. Friedman
In seinem Artikel „Online Mediation — Press Delete“ beschreibt Bruce Friedman, wieso seiner Meinung nach ODR (Online Dispute Resolution) zum Scheitern verurteilt ist.
Ich teile seine Auffassung in einigen Punkten nicht. (English Version)
„…there is a LinkedIn Group dedicated to Online Dispute Resolution, featuring announcements of conferences on online mediation and blogs on new products that will revolutionize technology assisted dispute resolution.“
(„…es gibt eine LinkedIn Gruppe, welche ODR gewidmet ist mit Ankündigungen zu Konferenzen über Online Mediation und Blogs über neue Produkte, welche die technisch gestützte Streitbeilegung revolutionieren sollen.)
Soweit Herr Friedman hierauf die ODR Gruppe in LinkedIn verweist, ignoriert er vollkommen, dass ODR nicht nur Online-Mediation meint.
Nicht alle Mitglieder dieser LinkedIn Gruppe „ODR“ betreiben Online-Mediation. Manche von diesen (z.B. auch meine Person) sind mehr in dem Feld „Schiedsgerichtsbarkeit“ aktiv. Die (berufsrechtlichen) Hürden sind für ein Mediationsangebot durchschnittlich geringer, man braucht weder ein Jurist zu sein, noch sich an die stellenweise strikten gesetzlichen Vorgaben zu halten. Das ist es, weshalb der Bereich E-Mediation einen größeren Anteil in dieser Gruppe hält.
Generell betrachtet, ist sein Artikel aber fast ausschließlich auf Mediation fokussiert; vielleicht wollte er mit dem Hinweis auf diese Gruppe nur einen aktuellen Bezug herstellen.
„Perhaps we only have a 10 year memory span and have forgotten why these cyber ventures failed and why, in my opinion, the current versions will as well.“
(Vielleicht hat unser Gedächnis nur einen Zeitraum von 10 Jahren und wir haben vergessen, wieso diese Cyber Unternehmen gescheitert sind und wieso – meiner Meinung nach – die aktuellen Versuche ebenfalls scheitern werden.)
„Unser“ Gedächnis ist nicht nur auf die letzten 10 Jahre beschränkt. Wie einige meiner Leser schon wissen, habe ich eine Sammlung über beinahe sämtliche ODR weltweit gemacht. Ganz bewußt habe ich mittlerweile aufgegebene Projekte dort weiter aufgeführt, damit man einen einfachen Überblick hat, wie viele Unternehmen bisher schon gescheitert sind.
Kollegen, welche in diesem Bereich forschen/entwickeln oder seit mehreren Jahren in diesem Markt arbeiten, wissen um die Schwierigkeiten und kennen auch die Gründe, weshalb andere Onlineanbieter ihr Angebot einstellen mussten.
Darüber hinaus: Vor 10 oder 20 Jahren gab es wirklich eine große Zeit für ODR. Wie für alles, was mit „Internet“ zu tun hatte. All das war ein Teil der Dotcom-Blase. So ist es nicht verwunderlich, dass viele ODR platzten wie die gesamte Blase geplatzt ist. Daher ist es sehr schwierig das mit der aktuellen Entwicklung jetzt zu vergleichen.
„There are two fundamental reasons why cyber mediation cannot work: 1) Decisions are emotionally driven; and 2) email, text, and Twitter posts do not effectively communicate emotion (after all, we resort to emoticons as a means of communicating our feelings in emails and text messages).“
(„Es gibt zwei Hauptgründe, wieso cyber mediation nicht funktioniert: 1) Entscheidungen sind emotional begründet; und 2) Email, Text und Twitter Postings können nicht effektive Emotionen transportieren (nach alledem suchen wir Zuflucht in Emoticons, um unsere Gefühle in emails oder Textmitteilungen auszudrücken.)“)
Das ist eine sehr begrenzte Ansicht. Ich stimme zu, dass Emotionen einen großen Einfluss auf unsere Entscheidungen haben. Natürlich sind eine Vielzahl von Entscheidungen gefühlsgesteuert, aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Denn auch Sachgründe beeinflussen unsere Entscheidungen.
Lasst mich ein Beispiel geben: Jeder wird damit übereinstimmen, dass das Kaufen eines KFZs ein sehr emotionsgesteuerter Vorgang ist. Die Vorstellung, Marke, Werbung usw. haben einen sehr großen Einfluss auf die Wahl des Fahrzeuges. Wenn man sich einen solchen Verkaufsvorgang im Geschäft anschaut, könnte man auf die Idee kommen, der Kaufvorgang in nur emotional bedingt. Das trifft so aber nicht zu. So hat der Käufer schon bevor er überhaupt das Geschäft erreicht, „nicht-emotionale“ Grenzen. Seine (emotionale) Entscheidungsfreiheit wird durch rationale Grenzen eingeschränkt (z.B. dass das Budget für die ein oder andere Marke nicht reicht oder dass man statt einem kleinen Sportwagen einen 5-Sitzer für die ganze Familie braucht.)
„Outside of this narrow market, online mediation is not now and will never be a substitute for a traditional mediation where the parties, counsel and the mediator assemble in the same location and commit to using the time allotted to settle the case. I don’t want to sound old school…“
(„Außerhalb eines engen Marktes ist Online Mediation weder jetzt noch in Zukunft ein möglicher Ersatz für eine traditionelle Mediation, bei der die Parteien, Anwalt und Mediator an dem selben Ort treffen und sich verpflichten, den Fall in einer vorgegebenen Zeit zu lösen. Ich möchte nicht „old school“ klingen…“)
Tut er aber! Vielleicht ist er nach so vielen Jahren etwas betriebsblind geworden und ist nunmehr nur noch auf „Emotionen“ fixiert? Darüber hinaus: Müssen wir wirklich jedes Mal z.B. die Verärgerung des Kunden sehen? Können wir uns nicht vorstellen, wie sich eine solche Person in so einem Moment fühlt? Und haben wir noch nie einen Brief, Eemail oder Kommentar gelesen, bei dem man fühlen konnte, wie wütend die Person dahinter war?
Ich denke, wir brauchen nicht alle die ganze Zeit zusammen sitzen und Händchen halten. Insbesondere, wenn es sich um ein wirtschaftliches Grundthema handelt.
„However, the negotiation process is too personal and emotionally driven to resort to the written word.“
(„Wie auch immer, der Verhandlungsprozess ist zu persönlich und emotional um sich geschriebener Worte zu bedienen.“)
Wirklich? Wieviele Verträge und Verhandlungen werden täglich nur in schriftlicher/ textlicher Form abgeschlossen? Wie viele Jurisdiktionen weltweit kennen für bestimmte Streitfälle nur bzw. extra ein schriftliches Verfahren? Natürlich sind diese immer noch dokumentenbasiert, könnten aber prinzipiell in eine elektronische Form überführt werden.
„Emails and texts also do not provide the flexibility necessary to change course when the parties get to a sticking point in the negotiations.“
(„Emails und Text bieten auch nicht die notwendige Flexibilität für einen Kurswechsel, wenn die Parteien an einem Punkt in ihren Verhandlungen feststecken.“)
Das trifft nur zu, wenn man Emails „old school“ wie einen Papierbrief nutzt. Natürlich sind Emails von Natur aus ein asynchrones Kommunikationsmittel. Daher bekommt man nicht automatisch ein Feedback, wie wenn man sich direkt gegenübersitzt. Aber wenn man das weiß, dann kann man sich selbst an den relevanten Punkten stoppen und erst einmal auf Feedback seines Gegenübers warten. Oder man kann ein mehr synchrones Kommunikationsmittel wählen, wie etwa das Chattingprogramm jitsi (XMPP) oder zur Not auch Skype.
Aber es gibt auch Vorteile für eine asynchrone Form der Kommunikation: Man hat mehr Zeit beim Lesen und Verstehen des Sachverhaltes. Man kann darüber hinaus den Vortrag seines Gegenübers nachprüfen. Die Parteien sind entspannter und haben weniger Stress als wenn sie sich direkt gegenüber sitzen. Darüber hinaus hat man als Mediator auch mehr Zeit, sich einen möglichen Lösungsweg zu überlegen, der auf die Akzeptanz der beiden Parteien stößt.
In my experience, there is no substitute for a meaningful discussion of the factual and legal issues and how those issues may be resolved by a court or jury.
(„Nach meiner Erfahrung gibt es keinen Ersatz für eine sinnvolle Diskussion über die tatsächlichen und rechtlichen Fragen und wie diese Fragen möglicherweise von einem Gericht oder Jury gelöst werden.“)
Meiner Meinung nach sind so viele ODR gescheitert, weil die Anbieter von diesen Diensten den selben eingeschränkten Blick auf ODR hatten, wie Mr. Friedman. Man kann nicht einfach sagen, wir machen das selbe wie bisher nur „online“. Es ist ähnlich wie mit dem Schreiben eines Artikels. Das macht man offline auch anders als online: Das beginnt z.B. mit der Wahl von anderen Fonts, verschiedenen Formaten, welche beim einen auf Papierform ausgelegt ist beim anderen auf den Bildschirm, Mobilphone etc. und endet manchmal in einer unterschiedlichen Ansprache an die Leser.
Zu sagen, ODR habe keinen Erfolg, weil es weniger die Emotionen berücksichtigt, ist eine genauso einseitige Sichtweise, wie die Vorstellung, dass Texte online lesen sich generell nicht durchsetzen würde, weil man einen 300-seitigen Roman bequemer offline liest.
Wenn man seinen bevorzugten Roman mit einer Tasse Tee in seinem Lieblingssessel lesen will, dann sollte man sich wirklich ein traditionelles Buch kaufen, aber für jede Menge anderer Dinge funktioniert „Online“- Lesen sehr gut.
Das soll nur beschreiben, dass ADR und ODR beide ihre Vor- und Nachteile haben. Man kann sehr einfach für beide Formen Sachverhalte finden, mit denen die eine oder andere Streitbeilegungsform nicht klar kommt. Und umgekehrt kann man auch Bereiche finden, in dem die eine die andere übertrifft.
Allerdings ist der letztgenannte Bereich für ODR am wachsen und wachsen.
Friedman ist noch alte Schule, ODR macht so jemanden halt Angst.
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